Das Dringende wird noch dringlicher

Der Krieg in der Ukraine und geplante Markteingriffe der EU wegen den hohen Energiepreisen machen die Notwendigkeit einer weitestgehend unabhängigen und erneuerbaren inländischen Stromversorgung deutlich. Die Reaktion von VSE Direktor Michael Frank auf die jüngsten Entwicklungen.
02.03.2022

Die Energiepreise sind seit Monaten auf Rekordniveau und schwanken stark, was zu grossen Unsicherheiten führt. Mit ursächlich dafür sind die unterdurchschnittlich gefüllten europäischen Gasspeicher. Hinzu kommen die dramatischen Ereignisse in der Ukraine und die zurecht beschlossenen Sanktionen gegen Russland. Sie manifestieren die Problematik der Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen sowohl hinsichtlich der Versorgung wie auch den Energiepreisen mehr als deutlich. Entsprechend ist auch keine Entspannung in Sicht.

Die EU diskutiert daher Massnahmen, um die Konsumentinnen und Konsumenten vor den hohen Energiepreisen zu schützen – wie dies einzelne Länder bereits Ende des letzten Jahres getan haben. Eurelectric, der Branchenverband der europäischen Elektrizitätswirtschaft, unterstützt zwar diese Bestrebung, zeigt sich aber besorgt über Markteingriffe, die die Investitionsbedingungen in erneuerbare Produktionsanlagen unattraktiver gestalten. Dies geht aus einem Brief ihres Präsidenten, Jean-Bernard Lévy, an die EU-Kommission hervor.

All diese Entwicklungen zementieren den Status quo und verlangsamen die Energiewende und den Klimaschutz massiv. Das ist fatal.

Hinzu kommen die sich mehrenden kritischen Stimmen in Europa, die fordern, bei der Energiewende zurück zu buchstabieren, um die Gasabhängigkeit nicht noch grösser zu machen – so zum Beispiel, wenn es um den Fahrplan des Kohleausstiegs in Deutschland geht. All diese Entwicklungen zementieren den Status quo und verlangsamen die Energiewende und den Klimaschutz massiv. Das ist fatal. Die Schweiz ist im Vergleich zu vielen EU-Mitgliedern vielleicht in geringerem Masse betroffen, aber trotzdem haben wir eine gewisse Abhängigkeit von russischem Gas. Indirekt durch importierten Strom zum Beispiel aus Deutschland sowie durch direkte Gasimporte.

Die traurige Aktualität führt uns auf krasse Art und Weise vor Augen, dass wir unser energiepolitisches Schicksal in die eigenen Hände nehmen sollten. Zur Klimakrise ist nun eine geopolitische Katastrophe hinzugekommen, die das Dringliche nur noch dringlicher macht. Wir müssen den Ausbau aller erneuerbaren Energien massiv vorantreiben. So schützen wir nachhaltig das Klima und minimieren die Abhängigkeit von fossilen Energien.

Ich hoffe, dass wir zur Einsicht gelangen, dass eine sichere Energieversorgung nicht länger Spielball politischer Grabenkämpfe sein darf.

Denn hinter Gas als Notfalllösung müssen wir angesichts der jüngsten Geschehnisse ein Fragezeichen setzen. Jedenfalls darf es nicht sein, dass wir die Blockadepolitik beim Ausbau von Erneuerbaren weiter in Kauf nehmen, weil wir Gas als Notnagel im Hinterkopf haben. Vor dem aktuellen Hintergrund mutet es absurd an, dass wir in der Schweiz Jahre über jede Staumauererhöhung und jedes Windrad streiten und die allermeisten Projekte wegen Partikularinteressen auf die lange Bank schieben. Und es akzentuiert die Notwendigkeit, mit Europa endlich eine langfristige enge Stromkooperation zu erreichen.

Wir stehen an einem Scheideweg. Die Massnahmen sind bekannt. Ich hoffe, dass wir zur Einsicht gelangen, dass eine sichere und stabile Energieversorgung nicht länger Spielball politischer Grabenkämpfe sein darf. Sondern dass die Gewährleistung einer sicheren und stabilen Energieversorgung bedeutet, Verantwortung gegenüber dem Klima, Gesellschaft, Wirtschaft und unserer Unabhängigkeit zu übernehmen.