Stromnetz – Enabler der Energiezukunft

Nach dem deutlichen JA zum Stromgesetz kann der Ausbau der erneuerbaren Energien endlich Fahrt aufnehmen. Damit die Stromnetze, die Lebensadern der Energieversorgung, nicht zum Flaschenhals der Energiewende werden, müssen sie unbedingt zeitgleich mit dem Ausbau der Produktion weiterentwickelt werden.

Das müssen Sie wissen

  • Das Stromnetz ist die Lebensader der Stromversorgung und der Enabler der Energie- und Klimastrategie.
  • Wegen des fundamentalen Wandels des Energiesystems wird das Stromnetz auf den Kopf gestellt. Damit es die neuen Herausforderungen bewältigen kann, muss es weiterentwickelt, modernisiert und ausgebaut werden.
  • Die Verfahren für die Weiterentwicklung der Netzinfrastruktur aller Ebenen müssen beschleunigt werden, und es braucht Massnahmen für einen sicheren und effizienten Netzbetrieb.
  • Der Bundesrat hat am 26. Juni 2024 eine Gesetzvorlage zur Netz-Beschleunigung in die Vernehmlassung geschickt. Diese muss allerdings zwingend für die Netze aller Ebenen mehr Tempo bringen.

Die Energie- und Klimaziele der Schweiz bedingen einen fundamentalen Umbau des Energiesystems. In der neuen, dynamischen Energiewelt müssen zentrale und dezentrale Produzenten, zentrale und dezentrale Speicher, bekannte und neue Verbraucher mit- und nebeneinander funktionieren können. Es wird durch die Dekarbonisierung mehr Strom als heute produziert werden müssen und vor allem viel mehr Strom aus dezentraler Produktion geben, z. B. durch PV-Anlagen auf Dächern und Fassaden, der in das Verteilnetz eingespeist wird. Zudem können (neue) leistungsstarke Verbraucher wie die zunehmende Anzahl an Elektrofahrzeugen und Wärmepumpen zu hohen Lastspitzen führen, die den sicheren Netzbetrieb vor eine grosse Herausforderung stellen.

Das Netz von heute muss weiterentwickelt werden, damit es die Herausforderungen eines umgebauten Energiesystems bewältigen und weiterhin ständig stabil gehalten werden kann. Weiterentwickeln bedeutet: modernisieren, digitalisieren und wo nötig ausbauen. Neue Technologien werden das Netz intelligenter und flexibler machen und dazu beitragen, den kostenintensiven Netzausbau auf das Notwendige zu beschränken. Zudem wird es den Beitrag der Kunden brauchen. Auch sie werden Hand in Hand mit den Netzbetreibern an ein effizientes und sicheres Energiesystem beitragen.

Position des VSE: Weiterentwicklung und Digitalisierung der Stromnetze zur Priorität machen

In politischen Diskussionen um die Energiezukunft der Schweiz fristen die Stromnetze unverständlicherweise ein Schattendasein. Das gilt es zu ändern. Der Weiterentwicklung des Stromnetzes muss parallel zum Ausbau der erneuerbaren Stromproduktion erfolgen. Wo keine Leitung ist, kann auch keine Produktion aus neuen Anlagen zu den Verbrauchern transportiert werden. Es braucht daher sowohl für den Ausbau der erneuerbaren Stromproduktion als auch für die Weiterentwicklung des Stromnetzes mehr Tempo und beschleunigte Verfahren.

Die Dekarbonisierung spielt sich insbesondere im Verteilnetz ab: dezentrale Produktion, Ladestationen für Elektromobilität, veränderte Stromflüsse. Die Digitalisierung ist Teil der Lösung und erleichtert die Optimierung des Systems. Sie erfordert aber auch einen höheren Schutz vor Angriffen aus dem Cyberraum. Dazu werden in den kommenden Jahren erhebliche Investitionen in das Netz nötig. Durch eine kluge Steuerung von Einspeisung und Verbrauch kann der kostenintensive Ausbau des Verteilnetzes reduziert werden. Dies setzt allerdings voraus, dass die Kunden am gleichen Strick ziehen. Insbesondere müssen Anreize für ein netzdienliches Verhalten der Kunden gesetzt werden können, zum Beispiel durch eine entsprechende Tarifierung, und der Netzbetreiber muss die Einspeisung oder den Strombezug aus dem Netz situativ begrenzen dürfen.

Das Übertragungsnetz ermöglicht den überregionalen und grenzüberschreitenden Stromaustausch. Es muss sicherstellen, dass die zukünftige Produktion, welche insbesondere auch in den Alpen (Wasserkraft/PV) und im Jurabogen (Windkraft) anfallen wird, zu den Verbrauchszentren im Mittelland gebracht werden kann. Im Übertragungsnetz wird die Systemstabilität sichergestellt. Um diese weiterhin zu gewährleisten, müssen Massnahmen für die Netzstabilität ergriffen werden. Das fehlende Stromabkommen macht sich auch hier bemerkbar, weil es die Aufrechterhaltung der Netzstabilität zunehmend schwierig macht (siehe Dossier «Stromabkommen»).

Notwendige Massnahmen für ein zukunftsfähiges Stromnetz

  • Investitionsfähigkeit in den Um- und Ausbau sowie Digitalisierung der Netze sicherstellen: WACC-Methodik und -Grenzwerte beibehalten; auf Anreizregulierung verzichten.
  • Schutz kritischer Netzinfrastrukturen aller Ebenen vor Cyberangriffen: Branchenstandards weiterentwickeln.
  • Sicherer und effizienter Betrieb des Übertragungsnetzes: Rechtssicherheit bei manuellem Lastabwurf sicherstellen; netzseitige Massnahmen für die Sicherstellung der kurz- und mittelfristigen Versorgungssicherheit und Netzstabilität ergreifen; Abschluss eines Stromabkommens anstreben.
  • Sicherer und effizienter Betrieb des Verteilnetzes: Handlungsspielraum für Netztarifierung schaffen; Möglichkeit zum Last- und Einspeisemanagement sowie Möglichkeit zum Peak Shaving einführen. Letztere wird im Rahmen des Stromgesetzes eingeführt.
  • Smart Grid: Datengestützte Steuerung der Verteilnetzte ermöglichen, Prozesse automatisieren und Smart-Meter-Rollout vorantreiben bzw. umsetzen (ohne Liberalisierung des Messwesens, so entschieden im Stromgesetz).
  • Beschleunigter Um- und Ausbau der Netzinfrastruktur: Gleichbehandlung von Kraftwerken, Anschlussleitungen und Netzverstärkungen bezüglich Beschleunigung der Verfahren auf allen Netzebenen (dieselben Fristen, Prozesse, Verfahren für Bund, Kantone und Gemeinde).

Stand der Dinge: Verfahren auch für das Netz beschleunigen

Im Stromgesetz (zum Dossier) stechen aus Sicht des Verteilnetztes insbesondere der Verzicht auf die Liberalisierung des Messwesens und die Einführung der Möglichkeit zum Peak Shaving positiv hervor. Politischer Handlungsbedarf besteht vor allem bei der Netztarifierung und der Nutzung netzdienlicher Flexibilitäten – beides zentrale Voraussetzungen, um den Ausbaubedarf des Verteilnetzes so effizient und kostengünstig wie möglich zu gestalten. Hier wurde im Rahmen des Stromgesetzes eine Chance verpasst.

Mit dem Beschleunigungserlass, der im Juni 2023 dem Parlament überwiesen wurde, schlägt der Bundesrat Massnahmen vor, die die Verfahren für die Bewilligung von erneuerbaren Energieprojekten beschleunigen sollen. Und auch bei den Stromübertragungsnetzen (NE 1) soll es mehr Tempo geben. In Zukunft soll im Rahmen des Sachplanverfahrens direkt ein Planungskorridor festgelegt werden (statt wie bisher zuerst ein Planungsgebiet). Die Stossrichtung im vom Bundesrat vorgelegten Beschleunigungserlass stimmt.

Beschleunigte Verfahren für die Stromnetze aller Ebenen

Wichtig ist, dass die Beschleunigung nicht nur für erneuerbare Produktionsanlagen von nationalem Interesse gilt, sondern insbesondere auch auf die nötigen netzseitigen Anschlüsse und Leitungen sowohl im Übertragungs- als auch im Verteilnetz ausgeweitet wird. Eine Produktionsanlage dient niemandem, wenn kein Anschluss vorhanden ist oder die Netzkapazitäten nicht ausreichen, um die Energie abzutransportieren. Damit die Stromnetze nicht zum Flaschenhals der Energiewende werden, müssen sie zwingend zeitgleich mit dem Produktionsausbau weiterentwickelt werden. Die Gesetzesvorlage zur Netz-Beschleunigung, die der Bundesrat am 26. Juni 2024 in die Vernehmlassung geschickt hat, muss allerdings zwingend für die Netze aller Ebenen mehr Tempo bringen.

Vernehmlassungsvorlage (Bund)   Medienmitteilung (VSE)